Wer glaubt, ein Neubau kann nicht von Schimmel befallen sein, hat weit verfehlt. Einige Experten gehen sogar davon aus, dass es keinen Neubau mehr ohne Schimmelbefall gibt. Dr. rer. nat. Gerhard Führer klärt in einem Interview u. a. über die Schimmelursache und versteckten Schimmel im Neubau auf.
InhaltsverzeichnisÜber den Experten
Im Jahr 1993 wurde das peridomus Institut Dr. Führer von Dr. rer. nat. Gerhard Führer, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Schadstoffe in Innenräumen, gegründet. Das Institut führt bundesweit „Innenraumchecks“ zur Klärung und Vermeidung von gebäudebedingten Erkrankungen durch. Dr. Gerhard Führer ist Ehrenprofessor der Donau-Universität Krems in Österreich, hat verschiedene Lehraufträge, u. a. an der Hochschule Mainz, organisiert Fachtagungen und Weiterbildungsveranstaltungen, ist Autor verschiedener Fachpublikationen, Herausgeber der Loseblattsammlung „Schimmelbildung in Gebäuden“ und hat mehrere patentierte Verfahren zum Erkennen und Beseitigen von Schadfaktoren in Innenräumen entwickelt.
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Mit unserem heutigen Kenntnisstand ohne ausreichendem Zahlenmaterial lassen sich dazu tatsächlich nur Meinungen und Einschätzungen abgeben. Diese sind zudem häufig interessensabhängig oder persönlich gefärbt. Auch kennen wir den mikrobiologischen Neubauzustand älterer Gebäude direkt nach deren Errichtung nicht, um einen seriösen Vergleich mit der heutigen Neubausituation durchzuführen. Allerdings haben wir einige erste Hinweise, die als Grundlage für vorsichtige Schätzungen für Schimmel in neu errichteten Gebäuden dienen können.
Bis zum März des Jahres 2013 wurden an unserem Sachverständigen-Institut peridomus insgesamt 72 Projekte zu Schimmel in Neubauten bearbeitet. Anlass waren u.a. Feuchteanzeichen, Geruchsauffälligkeiten oder sichtbares Schimmelwachstum. Bei den Projekten handelte es sich um Einfamilienhäuser, Mehrfamilienwohnhäuser, öffentliche Gebäude und Bürokomplexe. Das niederschmetternde Ergebnis dieser Auftragsarbeiten: In allen 72 Gebäuden waren relevante flächige Schimmelschäden mehrheitlich in Fußbodenkonstruktionen und weniger häufig in Dachkonstruktionen nachweisbar. Die für eine fachgerechte Sanierung notwendigen Arbeiten waren immer sehr aufwändig und damit kostenintensiv.
Schimmel in der Dachkonstruktion, © peridomus Institut Dr. FührerNachfolgend wurden verschiedene Punkte zur grob orientierenden Einschätzung der Häufigkeit von Schimmelschäden in Neubauten als relevant erkannt. Unter anderem sind dies:
In der Gesamtschau führten diese Punkte zusammen mit dem gesunden Menschenverstand zu der Erkenntnis, dass bei der Neuerrichtung eines Gebäudes eine erhöhte bis sehr hohe Wahrscheinlichkeit für verdeckte, nicht sichtbare Feuchte-/ Schimmelschäden gegeben ist.
Vor dem Hintergrund anzunehmender hoher Schadenswahrscheinlichkeiten wurde im Rahmen einer Masterthesis an der Donau-Universität Krems (Österreich) im Jahr 2014 eine Studie erarbeitet, mit folgender Fragestellung: Was sind die häufigsten Feuchteursachen als wesentliche Grundlage für die nachgewiesenen verdeckten Schimmelschäden? Als Ergebnis dieser Risikoanalyse für Schimmel in Neubauten wurden 3 Hauptauslöser für Schimmelwachstum erkannt:
Auch das Umweltbundesamt als deutsche Oberbehörde für den Fachbereich „Schimmel in Innenräumen“ hat in dem zum Entwurf vorgelegten Schimmelleitfaden aus dem Jahr 2016 auf das Phänomen der Neubaufeuchte und deren Folgen hingewiesen. Einerseits geht es um die Vermeidung von Schimmelbefall durch Baufeuchte: In einem massiv errichteten Einfamilienhaus aus gemauerten Wänden, Zementputz, Kellerwänden und betonierten Geschossdecken werden ca. 10.000 l Wasser benötigt bzw. in das Gebäude „eingebaut“. Andererseits zeigt die Baupraxis immer wieder, dass Baumaterialien sorglos im Freien und damit auch im Regen gelagert und in feuchtem Zustand später ebenso sorglos eingebaut werden.
Im Prinzip sind schimmelauslösende Feuchtefaktoren allein oder in Kombination auf jeder Baustelle anzutreffen. Um diese auszuschalten, sind verschiedene Maßnahmen nötig. Bei dem diesjährigen 7. Würzburger Schimmelpilz-Forum waren Schimmelschäden und Methoden der Prävention das zentrale Thema. U.a. wurden bei diesem internationalen Fachkongress in einem Vortrag 10 Kriterien für die Schimmelprophylaxe in Planung und Ausführung vorgestellt. Was in der Bauforschung diskutiert wird, benötigt erfahrungsgemäß eine gewisse Zeit bis es in der Baupraxis ankommt.
Das derzeitige Fazit lautet: Bis heute kümmert sich niemand verantwortlich um das Thema „Feuchtigkeit“ beim Neubau und greift ggf. korrigierend in Planungs- und Bauabläufe ein, weshalb in vielen Neubauten verdeckte, nicht sichtbare Feuchte-/ Schimmelschäden zu erwarten sind.
10 Kriterien für die Schimmelprophylaxe in Planung und Ausführung
Durch eine fehlende Risikoeinschätzung lassen nach wie vor viele Bauherren, Planer und
Ausführende die Chancen fahrlässig aus, einfache und kostengünstige Präventivmaßnahmen
umzusetzen. Im Anlassfall sind sie über das enorme gesundheitliche Risiko und das wirtschaftliche
Schadensausmaß merklich überrascht (nach Buchner, Tagungsband 7. Würzburger Schimmelpilz-Forum).
Feuchte-/ Schimmelprävention während der Planung
1. Beachte die Regeln der Bauphysik
2. Beachte die Anwendbarkeit von Detaillösungen
3. Das richtige Material an der richtigen Stelle
4. Die Zukunft des Heizsystems
5. Ein erfolgsversprechendes Lüftungskonzept
Feuchte-/ Schimmelprävention während der Ausführung
6. Klarheit der Schnittstellen
7. Örtliche Bauleitung als Qualitätskontrolle
8. Einhaltung von Trocknungszeiten
9. Sauberkeit auf der Baustelle, Bauhygiene
10. Feuchtigkeitsmanagement: Wenn Feuchtigkeit als Grundlage für Schimmelwachstum nicht zu vermeiden ist, reduziere sie. Ist auch das nicht möglich, beseitige sie umgehend.
Zusammenfassend sind schimmelwidrige Materialien und schadenstolerante Konstruktionen zu bevorzugen. Weiterhin gilt die alte Weisheit: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
Sie fragen mich als Naturwissenschaftler und Schimmelsachverständigen nach medizinischen Sachverhalten, was nicht mein Arbeitsgebiet ist. Im Hinblick auf unsere vielfältigen und vielzähligen Erfahrungen mit gebäudebedingt erkrankten Personen kann ich Ihnen aber sagen, dass es in diesem Themenkreis „nichts gibt, was es nicht gibt“. Was heißt das konkret: Häufig mit Schimmel in Innenräumen vergesellschaftet sind Kopfschmerzen, Hautreizungen, erhöhte Infektanfälligkeit, Beschwerden der Atemwege, allergische und asthmaähnliche Erkrankungen. Mittlerweile werden aber auch beispielsweise rheumaähnliche Symptome und Autoimmunerkrankungen mit Schimmelschäden in Verbindung gebracht. Wegen mangelnder Forschung sind m. E. noch lange nicht alle Beschwerdebilder erkannt und erfasst worden, die durch Schimmel in Innenräumen ausgelöst oder verstärkt werden. Unabhängig davon ist im Sinne einer gesundheitlichen Vorsorge Schimmel in Innenräumen nicht zu tolerieren.
Sichtbares Schimmelwachstum an Wand- oder Deckenoberflächen werden in der Fachwelt als Bagatellschäden bezeichnet – diese können staubarm mit geringem Aufwand entfernt werden. Derartige sichtbare Schimmelschäden sind aber häufig nur die „Spitze des Eisberges“ und gehen regelmäßig mit verdeckten, nicht sichtbaren Schäden einher. Weitere begründete Verdachtsmomente auf verdeckte Schimmelschäden wie Witterungseinflüsse, Wasserschäden und schnelle Bauweise habe ich bereits genannt. Primär betroffen sind nicht einsehbare Hohlräume von Ständerwänden und Vorwandinstallationen sowie Dämmebenen von Fußboden- und Dachaufbauten. Diese Konstruktionen sind möglichst zerstörungsfrei bezüglich Schimmelschäden zu überprüfen. Schimmel in der Fußbodenkonstruktion © peridomus Institut Dr. Führer Bei einem vorliegenden Schaden ist das räumliche Ausmaß zu bestimmen. Zur Ermittlung und Lokalisierung des Schimmelbefalls in Innenräumen wurde in den letzten Jahren eine mittlerweile standardisierte, kosteneffiziente Vorgehensweise entwickelt und patentrechtlich geschützt, womit unser Institut ein Alleinstellungsmerkmal hat. Alternativ könnte eine Vielzahl an Bauteilöffnungen und mikrobiologischen Laboruntersuchungen durchgeführt werden, was aber in einem neu errichteten Haus zu einem „Schweizer Käse“ und unverhältnismäßig hohen Kosten führt. Erst mit einer fachgerechten Überprüfung können aber Feuchte-/ Schimmelschäden erkannt, räumlich eingegrenzt oder ausgeschlossen werden.
Anmerkungen: Ohne entsprechende messtechnische Hilfsmittel sind „Neubauschäden“ nicht zu erkennen. Alleine durch einen sensorischen Eindruck verdeckte, nicht sichtbare Schimmelschäden ausschließen zu wollen, grenzt an „Handauflegen“ und „Kaffeesatzleserei“. Von bestimmten Kreisen gerne eingesetzte Raumluftuntersuchungen auf Schimmelsporen sind nicht ausreichend, da mit dieser Methode ein vorliegender verdeckter Schimmelschaden mehrheitlich nicht nachweisbar ist.
Zunächst einmal sollte jedes Gebäude auch bezüglich möglicher verdeckter, nicht sichtbarer Schimmelschäden abgenommen werden, um solche auszuschließen. Dies ist insofern sinnvoll und nötig, da nach der Abnahme sich die Beweislast umkehrt und der Bauherr den Schaden nachweisen muss. Um unnötiger Misstrauensbildung vorzubeugen, sollte der Nachweis oder der Ausschluss eines Schimmelschadens ein vom Bauherrn beauftragter fachkundiger Sachverständiger ausführen, der im Zweifelsfall auch für die Richtigkeit seiner Angaben geradesteht.
Ein erkannter Schimmelschaden hat zur Folge, dass der Bauherr ein „schimmelfreies“ Gebäude bestellt und vom Auftragnehmer (Bauträger oder Generalübernehmer) einen Feuchte-/ Schimmelschaden geliefert bekommt. Werkvertraglich ist dies ein eindeutiger Sachverhalt, der beispielsweise zu Nachbesserungsarbeiten führt. Bei einem Architektenhaus muss bei einem vorliegenden verdeckten Schimmelschaden davon ausgegangen werden, dass unabhängig von handwerklichen Unzulänglichkeiten die Art und Weise der Bauleitung bzw. Bauüberwachung ungenügend war und damit Haftungs- und Gewährleistungsansprüche entstehen. Wegen hoher Kosten bei Schimmelschäden werden zur Durchsetzung der Bauherrnrechte erfahrungsgemäß fachkundige Sachverständige und Baurechtsanwälte für einen qualifizierten Sachvortrag benötigt.
Unabhängig von Verantwortlichkeiten ist bei einer fachgerechten Schimmelsanierung alles belastete Material zu entfernen und durch unbelastetes Material zu ersetzen. Zusätzlich sind sogenannte Sekundärkontaminationen durch eine Feinreinigung zu beseitigen. Nachvollziehbar ist dies sehr aufwändig und damit kostenintensiv, weshalb der Schadensverursacher derartige Sanierungsnotwendigkeiten gerne kritisch hinterfragt. Nachdem häufig unvollständige Sanierungen oder gar Falschsanierungen durchgeführt werden, ist durch eine Sanierungskontrolle zu belegen und zu dokumentieren, dass der bestellte mikrobiell unbelastete Zustand erreicht ist. Die Überprüfung gehört zu einer fachgerechten Sanierung und ist somit vom Verursacher zu zahlen. Ohne eine derartige Sicherheit gehen die Raumnutzer unnötige gesundheitliche Risiken ein und haben bei einem späteren Verkauf keinen Nachweis für ein „schimmelfreies“ Haus. Dies führt typischerweise zu einer unkalkulierbaren Verminderung des Immobilienwertes.
Eigentlich gar nicht, da der Schimmelschaden bereits vor dem Einzug eingetreten ist. Unabhängig davon sollte natürlich durch ein vernünftiges Nutzerverhalten die gesundheitsrelevante Situation entschärft werden. Ein Lüften entsprechend der OKK-Regel (Oft - Kurz- Kräftig) mit vollständig geöffneten Fenstern ohne Kippstellung vermindert das Symptom „schlechte Luft“. Ebenso sinnvoll ist nach dem Einzug ein überdurchschnittliches Heizen aller Räume zum „Austreiben der Restfeuchte“ als Grundlage für weiteres Schimmelwachstum.
Häufig wird argumentiert, man habe ja eine technische Wohnraumlüftung und damit könne es gar nicht zu einem Schimmelschaden kommen. Dem ist zu entgegnen, dass beispielsweise eine kontrollierte Be- und Entlüftungsanlage erst nach vollständiger Elektroinstallation, also kurz vor dem Einzug in Betrieb genommen wird. Bei einem zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegenden „Neubauschimmelschaden“ kommt diese Einrichtung zu spät.
© Bundesanzeiger-Verlag.Buchtipp „Schimmel und andere Schadfaktoren am Bau“
Praxisnah und verständlich erklärt Dr. Gerhard Führer komplexe biologische und bauphysikalische Sachverhalte. Er deckt die vielfältigen Gründe für Sanierungsfehler auf und erläutert sie anhand zahlreicher Praxisbeispiele. Bezogen auf Problemstellungen wie z. B.
Leitungswasserschäden, Hochwasser und Neubaufeuchte informiert Führer worauf es bei einer fachgerechten Sanierung ankommt.
Ein perfekter Ratgeber für alle, die sich gegen Falschsanierungen wappnen wollen, einen Umbau oder den Neubau eines Gebäudes planen.
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